3. Senftenhütter Erzählcafe

„Zeitzeugen im Gespräch“

mit Frank Hesse

Erzählcafe-Hesse

Zum  3. Erzählcafé des Kultur- und Bildungsvereins Senftenhütte war Frank Hesse unser Gast. Der letzte hauptamtliche Bürgermeister des Dorfes berichtete aus der bewegten Wendezeit.

Er sei ein „Zugezogener“, was nur halb stimmte, denn seine Mutter stammte bereits von hier, kehrte aber den ärmlichen und von vieler Arbeit gezeichneten Heimat den Rücken gen Eberswalde, wo auch unser Gast aufwuchs. Die Ferien verbrachte er jedoch stetig bei der Oma im kleinen Walddorf, verlor nie die Wurzeln und nutzte 1984 die Chance, ein Haus zu erstehen.

Es war viel los damals im Dorf, jedes Wochenende war Disko. Man hörte „Dadideldumm, der Kommissar geht um“ und Nena – Neue Deutsche Welle war angesagt. Frank Hesse fasste Fuß, nahm Arbeit an als Betriebsschlosser in der neuen Milchviehanlage im Nachbarort Golzow. Man drängte ihn „als Guten“ zum Eintritt in die SED, doch er wich auf die DBD aus (Demokratische Bauernpartei Deutschlands. Ruckzuck wurde er im Kuhstall bei Cognac und Kaffee zum Bürgermeisterkandidaten gekürt und dann tatsächlich im Mai 1990  gewählt.

Es begann eine aufregende und ereignisreiche Zeit. Nahezu täglich flatterten neue Gesetze der Volkskammer ins Büro, die abstrakt wirkten und für die sich darstellenden Dorfprobleme nicht griffig waren. Er suchte nach seiner Strategie, ging im Dorf spazieren, sprach mit den Bürgern und bekam so einen Überblick über die drängendsten Probleme. Zugleich entließ die Forst, die LPG und die benachbarte Kiesgrube die ersten Arbeitskräfte.

Zu dieser Zeit hielt ein Schwabe im Auftrag des Arbeitsamtes auf der Bürgermeisterversammlung des Kreises einen Vortrag über ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme). Frank Hesse hörte zu, lud den Schwaben ein. Der Mann war begeistert: „Du hast ja ein schönes Dorf, das sieht ja aus wie eine Filmkulisse für den 2. Weltkrieg!“. Der Bürgermeister ließ sich beraten. Arbeitslose Dorfbewohner und die defizitäre dörfliche Infrastruktur? Das ließ sich in den ABM doch gut zusammenführen! Seine To-Do-Liste im Kopf sorgte er für die allerersten, das Dorf merklich verschönernden, ABM-Projekte im gesamten Altkreis Eberswalde.

Auf diese Weise reaktivierte er auch den seit vielen Jahren brachliegenden Festplatz. Als eine Kulturpflegezuwendung in Höhe von 400 DM ins Haus flatterte, hatte er die Idee eines Dorffestes. Bei den Gemeindevertretern überwog die Skepsis: der Platz liegt zu weit außerhalb, da geht keiner hin, was ist, wenn es regnet?! Frank Hesse ließ sich nicht beirren. Das Märkische Konzertorchester wurde bereits zu 10.00 Uhr zum Frühschoppen eingeladen, spielte auch nachmittags noch zum Kaffeetrinken, bis abends nach dem Wildschweinbraten der DJ übernahm und bei gesicherter Finanzierung aufgrund von zahlreichen verkauften Eintrittskarten das Bier zu schmecken begann. Unwidersprochen durch die anwesenden Zeitzeugen lässt sich behaupten, dass Frank Hesse bereits 1991 die Kultur, der sich bis heute überregional ungebrochenen Zuspruchs erfreuenden Senftenhütter Dorffeste, wiederbelebte.

Wir haben ihm gerne gelauscht und denken bei den nächsten Dorffesten wohl ganz besonders an die Tatkraft und den Wagemut des Bürgermeisters aus dem Jahr 1991.

Der Kultur- und Bildungsverein Senftenhütte e.V. freut sich sehr über weitere Gesprächspartner für sein Erzählcafé, um die Dorfgeschichte nicht nur für Zugezogene nacherlebbar zu machen und zu dokumentieren.

Nico Conrad

Erzählcafe-Hesse